Gegen Dekadenz und moralischen Verfall übergebe ich dem Feuer
Die Schriften von Erich Kästner – verboten und verbrannt
Erich Kästner war gerade 34 Jahre alt geworden und auf dem Höhepunkt seines schriftstellerischen Schaffens, da wurde sein Erfolg durch die Machtergreifung der Nationalsozialisten gebremst.
Seine Kritik am Krieg und seine Klage über die Not der Armen auf der einen Seite und seine Entlarvung der Ausschweifungen der Wohlhabenden auf der anderen Seite erregten den Ärger der neuen Herrscher.
Und so gehörten die Bücher Erich Kästners zu denen, die am 10. Mai 1933 in den Scheiterhaufen geworfen wurden mit Schlachtrufen wie
“Gegen Dekadenz und moralischen Verfall! Für Zucht und Sitte in Familie und Staat! Ich übergebe der Flamme die Schriften von Heinrich Mann, Ernst Glaeser und Erich Kästner”.
Dekadenz und moralischen Verfall sahen die Nationalsozialisten in einigen Gedichten, aber vor allem in Kästners Roman “Fabian”. Erich Kästner selbst schreibt in einem – erst nach dem 2. Weltkrieg veröffentlichten – Nachwort des Buches darüber: “Dieses Buch ist nichts für Konfirmanden, ganz gleich, wie alt sie sind. Der Autor weist wiederholt auf die anatomische Verschiedenheit der Geschlechter hin. Er läßt in verschiedenen Kapiteln völlig unbekleidete Damen und andere Frauen herumlaufen. Er deutet wiederholt jenen Vorgang an, den man, temperamentloserweise, Beischlaf nennt. Er trägt nicht einmal Bedenken, abnorme Spielarten des Geschlechtslebens zu erwähnen. Er unterläßt nichts, was die Sittenrichter zu der Bemerkung veranlassen könnte: Dieser Mensch ist ein Schweinigel.” (In: Fabian, S. 239)
Solche Literatur konnten die braunen Machthaber aus ihrer Sicht nicht tolerieren, daher wurde sie kurzerhand verboten und verbrannt. Und da Kästner darüber hinaus noch kritische Texte gegen Krieg, Diktatur, Engstirnigkeit, Intoleranz, Unmenschlichkeit geschrieben hatte, blieb er während des Dritten Reichs ständig unter Beobachtung der Nationalsozialisten.
Wie für viele andere Autoren bedeutete auch für Kästner diese Bücherverbrennung einen wesentlichen Einschnitt in Leben und Werk. Er lernt auch aus dieser Erfahrung, setzt sich im weiteren Verlauf seines Lebens vehement gegen jegliche Zensur ein und erinnert immer wieder an die Bücherverbrennung.
Trotzdem muss er 1965 die schmerzliche Erfahrung machen, dass es wieder junge Menschen gibt, die Bücher verbrennen, weil sie nicht ihrem Geschmack entsprechen. Und wieder sind seine Schriften unter denen, die am Düsseldorfer Rheinufer von einer Jugendgruppe des “Bundes Entschiedener Christen” verbrannt werden! © 2020 Dr. Birgit Ebbert • www.kaestner-im-netz.de
(Der Text habe ich 1998 geschrieben für das dtv-Magazin zum 100. Geburtstag von Erich Kästner.)