Die Kinderbuchautorin Herti Kirchner

Dass Herti Kirchner gerne geschrieben hat, belegen schon die unzähligen Briefe, die sie ihrer Familie geschrieben hat. Und um gleich jenen den Wind aus den Segeln zu nehmen, die meinen, da hätte sie sich ein Beispiel an Kästners Muttchen-Briefe genommen – die ersten Briefe und Postkarten stammen von 1929, als sie das Elternhaus verließ, um ihr erstes Engagement in Salzwedel anzunehmen.

Auch Bücher hat sie bereits gelesen, bevor sie Erich Kästner begegnete, schon in einem der ersten erhaltenen Briefe aus der Schulzeit berichtet sie den Tanten, dass sie ihre Versetzung mit Kino und Theater feiert und in den Ferien häuslich sein und lesen und malen wird. Später schreibt sie immer mal wieder, welche Bücher sie gerade liest, darunter z. B. „Landstreicher“ von Knut Hamsun, immerhin Nobelpreisträger, also sicher keine leichte Lesekost.

Ihr erstes Buch allerdings ist tatsächlich erst erschienen, als sie mit Erich Kästner zusammen war und auch in seinem Verlag. Das finde ich jetzt nicht so verwunderlich, dass ein Partner in seinem eigenen Verlag vorfühlt, ob es eine Möglichkeit zur Veröffentlichung gibt. Ich erwähne das nur deshalb, weil der Verlag als ein Indiz dafür gewertet wird, dass Herti nur ihren Namen zur Verfügung gestellt hat und die Bücher in Wirklichkeit von Erich Kästner sind. So werden sie übrigens auch in Antiquariaten zum Preis von 400 € angeboten.

Wer die Bücher liest und wer Hertis Briefe und die Papiere aus ihrem Nachlass kennt, kann m. E. keinen Zweifel daran haben, dass die Bücher nicht von Kästner sind. Da ist schon die Geschichte, eine Mischung aus „Emil“ und „Pünktchen“, warum sollte Kästner so etwas schreiben. Die Sprache ist teilweise völlig anders als der sonstige Stil Kästners, vor allem aber gibt es so viele Parallelen zu Hertis Leben, dass die Autorenschaft eindeutig ist. In einem Brief an ihre Tanten über das zweite Buch zum Beispiel beruhigt Herti ausdrücklich darauf hin, dass in dem neuen Buch keine Tanten vorkommen. Noch habe ich nicht alle Bücher gelesen, aber vermutlich waren die Tanten nicht so begeistert davon, dass sie als Vorbild für Kinderbuchtanten dienten. Ich habe mir sagen lassen, dass Kenner des Vorkriegs-Kiels auch die eine oder andere Straße wieder erkannt haben, warum sollte der Dresdener Kästner, der sich allenfalls noch in Leipzig und Berlin auskannte, eine Handlung nach Kiel verlegen.

Soviel vorweg, doch jetzt zu den beiden Büchern, die als kleine Reihe zu sehen sind. Im Mittelpunkt steht die kleine „Lütte Junck“, selbstbewusste und pfiffige Tochter eines Bauunternehmers, nach der auch das erste Buch „Lütte“ benannt wurde. Zusammen mit ihren Freunden vertreibt sie sich die Zeit, ärgert Nachbarn und andere Erwachsene und fängt sogar einen gemeinen Dieb. Die Geschichten sind nett zu lesen und ein Spiegel der norddeutschen Kindheit in der Zeit zwischen den Kriegen. Die Ilustrationen des ersten Bandes sind von Hans Kossatz, der bis zu seinem Mitte der 80er Jahre als Cartoonist und Zeichner tätig war und u. a. inden 70er Jahren mit Hildegard Knef ein Buch herausgebracht hat. Herti liebte diese Zeichnungen und beklagt bitterlich, dass Hans Kossatz keine Zeit hat, das zweite Buch zu illustrieren. Ihre erste Alternativwahl, ihr Freund Erich Ohser, durfte die Zeichnungen nicht machen, weil sein Arbeitgeber ihm das untersagte. Am Ende übernahm es Rafaello Bisoni das Buch zu illustrieren, trotz Hertis Besorgnis, ob ein Italiener wohl das Leben an der Ostsee einfangen könne. Ich finde die Bilder ebenso gelungen wie die von Hans Kossatz und wenn ich bei Wikipedia nach Rafaello Bisoni suche, erfahre ich, dass auch er ein renommierter Maler, Zeichner, Grafiker und Illustrator war, was Herti alleridngs nicht mehr mitbekommen hat, siekannte ihn nur als „jungen italienischen Zeichner“, obwohl er schon damals 13 Jahre älter war als sie.

Um noch einmal auf Kästners Anteil zurückzukommen. Natürlich kann es sein, dass er ihr beim Schreiben Tipps gegeben hat, welcher Autor kennt das nicht, dass der Partner über die Schulter schaut und sagt, das könntest du doch auch so oder so formulieren. Und – aus meinem Nähkästchen geplaudert – die kleinen Inhaltsangaben vor den Kapiteln habe ich vor einigen Jahren auch bei Kästner geklaut, da lebte er schon nicht mehr. Weil ich die schön finde, im Gegensatz zu der Lektorin, die einfach alle gestrichen hat, worüber ich mich noch heute ärgere. Vielleicht ging es Herti genauso, wir wissen ja, dass sie Kästners Bücher gelesen hat und so viele Buchvorbilder gab es nicht, in denen Kinder eine spannende Geschichte erleben und selbstbewusst im Alltag agieren.

In einem Brief habe ich außerdem einen Hinweis auf das dritte Kinderbuch gefunden, sie hatte den Plot schon ausgearbeitet, allerdings habe ich ihn bei der groben Durchsicht der Werke nicht gefunden, aber auch nicht danach gesucht. Die Idee fand ich interessant, aber die verrate ich nun nicht. Es ist schon wieder viel mehr gesagt, als ich eigentlich wollte! © Dr. Birgit Ebbert www.kaestner-im-netz.de

Die von Herti Kirchner erschienenen Bücher heißen „Lütte. Geschichte einer Kinderfreundschaft“ und „Wer wird Indianer?“ Beide sind 1938 im Verlag Williams & Co. erschienen. „Lütte“ wurde vom NS-Lehrerbund auf den Index für Schulbibliotheken gesetzt.