Kürzlich habe ich in Online-Buchhandlungen nach neuer Literatur von und über Kästner gesucht. Viel gibt es nicht, hauptsächlich neue Zusammenstellungen von Texten, die sowieso schon in mehreren Büchern aus meinem Regal stehen. Neugierig gemacht hat mich das antiquarische Buch „Montagsgedichte“und das habe ich heute nun endlich gelesen.
Die Montagsgedichte
Ich wusste natürlich, dass Erich Kästner für die Berliner Zeitung „Montag morgen“ eine Zeit lang regelmäßig ein Montagsgedicht geschrieben hat. Eine Sammlung der Texte besaß ich allerdings noch nicht. Nun habe ich eine, die erste Auflage einer Taschenbuchausgabe aus dem Aufbau-Verlag, noch zu DDR-Zeiten erschienen, mit Genehmigung des Atrium-Verlages. Das Büchlein enthält alle Gedichte, die vom 11. Juni 1928 bis 22. April 1930 erschienen sind. Einige davon finden sich in Gedichtbänden Kästners wieder. Ein paar Texte kannte ich nicht oder sie sind mir erst zusammen mit dem historischen Kontext aufgefallen.
Mein Leseerlebnis
Sehr amüsiert habe ich mich über die „Klagen eines Oberlehrers“, der entsetzt ist, dass man einem Clown, man denke nur: einem Clown, einen „Doktorgrad“ verleiht, was 1928 in der Tat so geschah, die Budapester Universität hat dem Clown Grock den Ehrendoktortitel verliehen. Witzig auch – gerade mit Blick auf meine Arbeit an dem Roman über Herti Kirchner – das Gedicht „Der Tonfilm“, das die Bedenken vieler Kritiker gegen den Tonfilm aufs Korn nimmt. Es gab ja wirklich 1928 eine Kampagne gegen den Tonfilm, die ich übrigens in meinen Herti-Roman aufgenommen hatte. Spannend fand ich das Gedicht „Der künstliche Mensch“ über den vielleicht ersten Roboter, ich habe es nicht nachrecherchiert, auf jeden Fall gab es 1928 Präsentationen von „Robot Erik“ in London und New York. Faszinierend ist, wie sich Erich Kästner den Einsatz der Roboter vorstellt, da ist er uns weit voraus, auch wenn wir das „Blechzeitalter“, mit dem er diese künstliche Spezies in Verbindung brachte, schon hinter uns gelassen haben. Den „Chor der Ruhrbarone“ habe ich, glaube ich, schon in einem der Versbändchen gelesen – aber bevor ich ins Ruhrgebiet gezogen bin. Jetzt denke ich noch über den Satz nach: „Wer an der Ruhr nicht leben kann, der geht an ihr zugrunde.“ Apropos Sätze, beim Lesen ist mir auch der eine oder andere Satz begegnet, den ich von Kästner immer flüssig zitieren kann und wo mir meist die Quelle fehlt. Jetzt merke ich mir, dass der Satz „Nichts auf der welt macht so gefährlich, als tapfer und allein zu sein!“ aus dem Gedicht über „Lessing“ stammt, über den Kästner schrieb: „Er schlug den Feind mit Worten nieder, und keinen gab’s, den er nicht zwang.“ Ich sollte wieder einmal Lessing lesen oder im Theater erleben. Gut gefallen hat mir der Satz aus dem Gedicht „Brucknerhetze“ vom 30. September 1929: „Wenn die Stücke schlechter werden, / wird das Publikum es auch …“. Darüber kann man schön nachdenken und der passt immer mal wieder. Mein Lieblingsgedicht aber ist „Die Reichsbahnzeitung“ über die „Deutsche Allgemeine Zeitung“ (DAZ) vom 25. November 1929. Die DAZ, ein konservatives Blatt im Besitz eines Konsortiums, brauchte Geld und es fanden sich keine Geldgeber, bis auf: „Wohl dem, der eine deutsche Reichsbahn hat! / Die abonniert 5.000 Exemplare der DAZ, ist das nicht etwas stark? / 5 000 Exemplare macht im Jahre / die Summe von 300 000 Mark.“ Einen solchen Deal hätte mancher Verlag heute auch gerne. Und dann ist das noch das Gedicht „Nennt sich das Winter?“ vom 3. Februar 1930, das man ohne Änderung genau so am 3. Februar 2020 hätte abdrucken können. „Es gibt chronische Aktualitäten“, hätte Erich Kästner das genannt, übrigens die Überschrift des letzten Kapitels meiner Dissertation! Es gibt noch mehr in dem Büchlein wie in den anderen Gedichtbänden Kästners, die – wie ich jetzt kürzlich noch bei einer Veranstaltung hörte – zu den meist verkauften Gedichtbänden in Deutschland gehören. Schade, das wohl nicht alle Leser die doch so deutlichen Botschaften verstehen. Doch das ist ein anderes Thema. © Dr. Birgit Ebbert www.kaestner-im-netz.de